Studien zur COVID-Impfung bei Kindern und Jugendlichen

Impfstoffwirksamkeit gegen Long COVID bei Kindern

In der von der American Academy of Pediatrics (AAP) veröffentlichten retrospektiven Kohortenstudie

Vaccine Effectiveness Against Long COVID in Children

wurde die Impfstoffwirksamkeit gegen Long COVID bei Kindern im Alter von 5 bis 17 Jahren untersucht (Razzaghi et al., 2024).

#ProtectTheKids berichtet mit übersetzten Auszügen aus der Studie. Die Nummerierung der Figuren und Tabellen entspricht derjenigen im Paper. Zur besseren Vergleichbarkeit werden die Figuren in anderer Reihenfolge präsentiert

13. Sept. 2024 / FN

Resultate im Überblick

In der Kohorte von 1’037’936 Kindern und Jugendlichen (KuJ) lag die Impfrate bei 67 %. Die kumulative Inzidenz von wahrscheinlichem Long COVID lag bei 4.5 % der KuJ mit COVID-19 und diejenige von diagnostiziertem Long COVID bei 0.8 %. Die adjustierte Impfstoffwirksamkeit (Vaccine Effectiveness, VE) innerhalb von 12 Monaten betrug 35.4 % [24.5 %, 44.7 %] (95 % Konfidenzintervall) gegen wahrscheinliches Long COVID und 41.7 % [15.0 %, 60.0 %] gegen diagnostiziertes Long COVID. Die VE war bei Jugendlichen höher bei 50.3 % [36.6 %, 61.0 %]) als bei Kindern zwischen 5 und 11 Jahren bei 23.8 % [4.9 %, 39.0 %]. Die VE war nach 6 Monaten höher bei 61.4 % [51.0 %, 69.6 %], sank aber nach 18 Monaten auf 10.6 % [-26.8 %, 37.0 %].

1. Methoden

Im Rahmen der RECOVER-Initiative 1 der National Institutes of Health (NIH) wurde eine retrospektive Kohortenstudie auf der Grundlage von EHR-Daten 2 aus 41 Gesundheitssystemen für Kinder und Jugendliche (KuJ) durchgeführt, die (1) COVID-19, (2) eine Diagnose einer akuten Atemwegserkrankung, Fieber, Dyspnoe oder Husten nach dem 1. Januar 2019, (3) einen SARS-CoV-2-Test oder (4) mindestens eine Impfdosis gegen SARS-CoV-2 hatten.

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Impfung fälschlicherweise eingetragen wird, ist sehr gering. Allerdings ist das Risiko einer unvollständigen Erfassung von Impfdosen bekannt, während ein Abbruch der Grundimmunisierung vor der zweiten Dosis ungewöhnlich ist.

Daher ist es bei diesem Studiendesign sinnvoll, KuJ mit dem Nachweis mindestens einer Impfdosis einzubeziehen, denn jede dadurch entstehende Verzerrung verringert die Schätzung der Impfstoffwirksamkeit und vermeidet deren Überbewertung. In der Hauptanalyse wurden nur geimpfte KuJ betrachtet, die keine (bekannte) Vorgeschichte einer SARS-CoV-2-Infektion hatten.

Stichprobe

Kinder und Jugendliche (KuJ) waren teilnahmeberechtigt, wenn sie zwischen dem Zeitpunkt der Impfberechtigung und dem 29. Oktober 2022 ein Gesundheitszentrum aufsuchten und zum Zeitpunkt der Impfberechtigung zwischen 5 und < 18 Jahre alt waren. Der Zeitpunkt der Impfung gegen SARS-CoV-2 wurde für Jugendliche im Alter von 12 bis < 18 Jahren auf den 1. Januar 2021 und für Kinder im Alter von 5 bis < 12 Jahren auf den 29. Oktober 2021 festgelegt, entsprechend der Verfügbarkeit der Impfstoffe.

Bei geimpften KuJ war das Eintrittsdatum in die Kohorte das Datum der ersten Impfdosis, während bei ungeimpften KuJ das Datum eines persönlichen Besuchs nach der Impfung nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurde, was zu einer angeglichenen Verteilung der Eintrittsdaten zwischen den Kohorten führte.

Darüber hinaus war ein Kontakt zwischen 8 Tagen und 2 Jahren vor dem Eintritt in die Kohorte erforderlich, um grundlegende Gesundheitscharakteristika zu erfassen; eine Verzerrung in Richtung höherer Inanspruchnahme wurde vermieden, indem ein persönlicher Besuch nicht vorgeschrieben wurde. Zur Ermittlung der langfristigen COVID-Outcomes war ausserdem mindestens ein persönlicher Besuch zwischen 28 und 179 Tagen nach Kohorteneintritt erforderlich.

Outcomes / Ergebnisse

Die Hauptergebnisse waren diagnostiziertes / diagnosed Long COVID oder wahrscheinliches / probable Long COVID. Die Falldefinition für diagnostiziertes Long COVID waren zwei oder mehr Besuche mit Diagnosecodes, die spezifisch für Long COVID waren; ein einzelner Diagnosecode fiel unter die Falldefinition für wahrscheinliches Long COVID. Um der unvollständigen Verfügbarkeit oder Verwendung von COVID-spezifischen Diagnosecodes Rechnung zu tragen, insbesondere bei KuJ mit frühen Anzeichen von Long COVID, umfasste die Falldefinition für wahrscheinliches Long COVID den Nachweis einer SARS-CoV-2-Infektion (positiver PCR-Test oder Antigen-Schnelltest) sowie mindestens zwei mit Long COVID kompatible Diagnosen 28 bis 179 Tage nach der Infektion. Diese Diagnosen wurden in früheren Arbeiten als postakute Assoziationen mit COVID-19 ermittelt, die sogenannten postacute sequelae of SARS-CoV-2 (PASC).

Einige Ergebnisse werden für die Präomikron- und Omikron-Epochen separat aufgeführt. Dies gilt nur für Jugendliche, da Impfstoffe für jüngere Kinder vor Beginn der Omikron-Epoche kaum verfügbar waren. Zur Wahrung der Konsistenz zwischen den Analysen wurde der 29. November 2021, der erste Tag, an dem ein jüngeres Kind nach der Impfung eine Infektion gehabt haben könnte, als Trennlinie zwischen den Epochen verwendet; zu diesem Zeitpunkt zirkulierte Omikron in den Vereinigten Staaten und wurde wenige Wochen später zum dominierenden Stamm.

KuJ mit einer SARS-CoV-2-Infektion nach Eintritt in die Kohorte wurden anhand des Datums der Infektion einer der beiden Epochen zugeordnet; für Teilnehmende, die nie COVID-19 entwickelten, wurde das Datum des Kohorteneintritts verwendet.

Hauptanalyse

Kinder und Jugendliche aus geimpften und ungeimpften Kohorten wurden hinsichtlich ihrer Altersgruppe (5 bis 11 Jahre, 12 bis 17 Jahre) und ihres Kohorteneintritts (gleiche 6-Monats-Periode des Kohorteneintritts) gematcht. Die Beobachtung von PASC wurde auf 12 Monate nach Kohorteneintritt begrenzt, um das Waning der Impfstoffwirksamkeit (vaccine effectiveness, VE) über die Zeit zu berücksichtigen.

Sensititivätsanalyse

Einerseits wurde die Impfstoffwirksamkeit (VE) gegen PASC für eine kleinere geimpfte Kohorte geschätzt, in der nur Kinder und Jugendliche mit mindestens zwei erfassten Impfdosen berücksichtigt wurden. Andererseits wurde die VE gegen PASC in unterschiedlichen Zeitfenstern von 6, 12 und 18 Monaten nach Eintritt in die Kohorte geschätzt.

Vergleich der Kohorten

Bei den nicht adjustierten Analysen fand eine Nachbeobachtung vom Eintritt in die Kohorte bis zum Ende des Beobachtungszeitfensters statt. Für den Vergleich zwischen geimpften und ungeimpften Kohorten wurde das Inzidenzratenverhältnis (IRR) verwendet. Für die IRR wurden unter Verwendung der Wald-Schätzung 95 %-Konfidenzintervalle bestimmt. Die Impfstoffwirksamkeit (VE) wurde als 100 × (1 – IRR) berechnet.

Für die adjustierten Analysen wurden bedingte logistische Regressionen verwendet. Diese ermöglichten eine Stratifizierung nach Einflussfaktoren wie Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Gesundheitssystem, Grad der Inanspruchnahme des Gesundheitssystems, Anzahl betroffener Organsysteme und Vorliegen einer progredienten oder bösartigen Erkrankung. Solange es sich bei Infektion oder Long COVID statistisch gesehen um “seltene Ereignisse” handelt (Rare Disease Case, eine niedrige einstellige Prozentzahl der Population ist betroffen), entspricht die IRR ungefähr der Odds Ratio OR, so dass die entsprechende VE als 100 × (1 – OR) approximiert werden kann.

Kausale Mediationsanalyse

Zur Analyse “indirekter” und “direkter” Effekte der Impfung auf Long COVID wurden kausale Mediationsanalysen (CMA) durchgeführt, wobei die Behandlung die Impfung vor der Infektion, der Mediator die SARS-CoV-2-Infektion und das Outcome Long COVID war.

Zur Schätzung der Impfstoffwirksamkeit wurden zwei logistische Regressionsmodelle verwendet. Das erste für den Einfluss der Behandlung auf den Mediator (in der Studie als “indirekter” Effekt bezeichnet) und das zweite für den Einfluss von Behandlung und Mediator auf das Outcome (in der Studie als “direkter” Effekt bezeichnet), wobei dieselben Störvariablen berücksichtigt wurden.

2. Resultate

Studienkohorte

Die Impfdaten von 17 Gesundheitssystemen waren ausreichend aussagekräftig für die Einbeziehung. Wie Figur 1 zeigt, setzt sich die Kohorte aus Gruppen von 480’298 5 bis 11-Jährigen und 557’638 12 bis 17-Jährigen zusammen. Insgesamt erhielten 67 % der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen (KuJ) mindestens eine Impfdosis gegen SARS-CoV-2, 88 % zwei oder mehr.

«Die kumulative Inzidenz von wahrscheinlichem Long COVID (probable Long COVID) lag in der gesamten Kohorte bei 0.3 % und bei KuJ mit nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion nach Eintritt in die Kohorte bei 4.5 %.»
«Bei KuJ mit nachgewiesener COVID-19-Infektion nach Eintritt in die Kohorte lag die kumulative Inzidenz von diagnostiziertem Long COVID bei 0.8 %, unter Berücksichtigung wahrscheinlicher Fälle (probable Long COVID) lag sie bei 4.5 %.»

Auswirkung der Impfung auf Long COVID bei Kindern und Jugendlichen

Siehe Tabelle 2 für eine Übersicht der VE (Impfstoffwirksamkeit) gegen Long COVID.

«Bei Kindern mit Impfnachweis und ohne Vorgeschichte einer SARS-CoV-2-Infektion betrug die (adjustierte) VE gegen wahrscheinliches Long COVID (Beobachtungsfenster 12 Monate) für die kombinierten Altersgruppen 35 % [25 %, 45 %], wobei die Wirkung bei Jugendlichen grösser war als bei jüngeren Kindern.»

Die schützende Wirkung der Impfung schien mit der Zeit nachzulassen. In einem Beobachtungsfenster von 6 Monaten nach der Impfung wurde eine höhere VE gegen Long COVID beobachtet als in 12 Monaten, während eine Verlängerung des Beobachtungszeitraums auf 18 Monate eine weitere Abnahme ergab (Figur 3).

Figur 3: Zeitlicher Verlauf der (adjustierten) VE (Impfstoffwirksamkeit) gegen Long COVID. Die Ergebnisse werden für Long COVID Symptome gezeigt, die innerhalb von 6, 12 oder 18 Monaten nach der Impfung auftraten. (Beachten Sie, dass bei 5 bis 11-Jährigen kein Wert für diagnostiziertes Long COVID innerhalb von 6 Monaten gezeigt wird, da für eine Schätzung zu wenige Fälle vorlagen).

Bei Kindern, von denen bekannt ist, dass sie vollständig geimpft waren (d. h. 2+ registrierte Impfdosen), betrug die VE gegen wahrscheinliches Long COVID innerhalb von 12 Monaten 45 % [35 %, 53 %], wobei die Ergebnisse innerhalb der Altersschichten konsistent waren, was die Gültigkeit des Analyseverfahrens bestätigt (Figur 2).

Figur 2: Schätzung der VE (Impfstoffwirksamkeit) gegen Long COVID für Kinder, die mindestens 2 Dosen des mRNA-Impfstoffs zur Grundimmunisierung erhielten. Die Analysen waren ansonsten identisch mit der Hauptanalyse.
Im Vergleich zu Figur 3 für die VE gegen Long COVID (Beobachtungsfenster 12 Monate, rot) zeigt Figur 4 die VE gegen SARS-CoV-2-Infektion (Beobachtungsfenster 12 Monate), eine “indirekte” Wirkung der Impfung auf Long COVID durch Reduktion des Infektionsrisikos.
Figur 4 (Supplemental Information): Schätzung der VE (Impfstoffwirksamkeit) gegen SARS-CoV-2-Infektion innerhalb von 12 Monaten nach der Impfung. Eine Infektion wurde definiert als ein positiver Virustest (PCR oder Antigen-Schnelltest) oder das Auftreten einer spezifischen Diagnose für COVID-19. Zu Gunsten einer direkten Vergleichbarkeit mit der VE gegen Long COVID wurde auch in dieser Analyse der 30. November 2021 als Trennlinie zwischen der Präomikron- und der Omikron-Periode verwendet.

Ein Vergleich zwischen dem “indirekten” und dem “direkten” Effekt der Impfung auf das Risiko von wahrscheinlichem Long COVID (LC) kann durch Betrachtung der Odds Ratios vorgenommen werden. Tabelle PTK.1 zeigt die im Paper angegebenen VEs und Odds Ratios, nämlich VE1 und OR1 für den “indirekten” Effekt, VE2 und OR2 für den kombinierten (indirekten und direkten) Effekt und OR2 / OR1 für den “direkten” Effekt der Impfung auf das Risiko von wahrscheinlichem LC.

5 bis 17 J,
prä-Omi+Omi
5 bis 11 J,
Omikron-Ära
12 bis 17 J,
Omikron-Ära
12 bis 17 J,
prä-Omi+Omi
 VE1 gegen SARS-CoV-2-Infektion53%33%24%60%
 OR1 = 1 – VE1 / 100 (“indirekter” Effekt)0.470.670.760.40
 Quelle für VE1 und OR1Figur 4Paper S. 4Figur 4Figur 4
 VE2 (adj. VE) gegen wahrscheinliches LC35.4%23.8%49.6%50.3%
 OR2 = 1 – VE2 / 100 (kombinierter Effekt)0.650.760.500.50
 Quelle für VE2 und OR2Tabelle 2Tabelle 2Tabelle 2Tabelle 2
 OR2 / OR1 (“direkter” Effekt)1.381.130.661.25
Tabelle PTK.1 (Zusammenstellung von #ProtectTheKids): “Indirekter”, kombinierter und “direkter” Effekt der Impfung auf das Risiko von wahrscheinlichem Long COVID innerhalb von 12 Monaten nach der Impfung.

Wider Erwarten ist OR2 in einigen Fällen grösser als OR1, d.h. die Odds von wahrscheinlichem Long COVID scheinen grösser zu sein als diejenigen einer SARS-CoV-2-Infektion.

Dieser Effekt wird in der “Supplemental Information” des Papers als “schwache positive Assoziation” zwischen der Impfung und (“against” ?) Long COVID beschrieben, d. h. nach einer Infektion wurde wahrscheinliches oder diagnostiziertes Long COVID in der geimpften Kohorte etwas häufiger gefunden als in der ungeimpften Kohorte, wie aus den Odds Ratios in Figur 7 hervorgeht. Die Autorenschaft weist jedoch selber darauf hin, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Impfung und Long COVID sehr unwahrscheinlich ist:

«The observed association could result from any of several mechanisms; it is highly unlikely that vaccination is causally related to long COVID when the opposite is observed in the larger analyses.»

Wahrscheinlicher ist ein statistisches Artefakt, das durch unterschiedliche Datenerfassung in geimpften und ungeimpften Kohorten entstanden sein könnte.

Das Vorhandensein chronischer Erkrankungen hatte nur minimale Auswirkungen, obwohl die Wahrscheinlichkeit von Long COVID mit zunehmender Inanspruchnahme der Grundversorgung anstieg.

Ein Schutz vor Long COVID wurde auch bei Kindern beobachtet, die ihre Impfung erst nach einer dokumentierten COVID-19-Erkrankung erhielten (Figur 5).

Figur 5 (Supplemental Information): VE (Impfstoffwirksamkeit) gegen Long COVID bei Impfung nach einer dokumentierten SARS-CoV-2-Infektion. Die Dokumentation der COVID-19-Vorgeschichte durch einen positiven Virustest vor Eintritt in die Kohorte war erforderlich; kalkulatorische Infektionszeitpunkte wurden in diesem Schritt nicht berücksichtigt. (Beachten Sie, dass bei 5 bis 11-Jährigen kein Wert für diagnostiziertes Long COVID gezeigt wird, da für eine Schätzung zu wenige Fälle vorlagen).

FORTSETZUNG FOLGT

3. Diskussion

FORTSETZUNG FOLGT

Referenzen

Razzaghi, H., Forrest, C.B., Hirabayashi, K. et al. (2024). Vaccine Effectiveness Against Long COVID in Children. Pediatrics; AAP publications; Epub April 1, 2024. doi: 10.1542/peds.2023-064446

Fussnoten

  1. RECOVER: REsearching COVID to Enhance Recovery ↩︎
  2. EHR: Electronic Health Records ↩︎