Impfstoffwirksamkeit gegen Long COVID bei Kindern
In der von der American Academy of Pediatrics (AAP) veröffentlichten retrospektiven Kohortenstudie
Vaccine Effectiveness Against Long COVID in Children
wurde die Impfstoffwirksamkeit gegen Long COVID bei Kindern im Alter von 5 bis 17 Jahren untersucht (Razzaghi et al., 2024).
Inhalt
In den Abschnitten 1 bis 3 berichtet #ProtectTheKids mit übersetzten Auszügen aus dieser wichtigen Studie. Die Nummerierung der Figuren und Tabellen entspricht derjenigen im Paper. Zur besseren Vergleichbarkeit werden die Figuren in anderer Reihenfolge präsentiert.
Kontext und Kommentare von #ProtectTheKids in blauer Schrift.
Im Abschnitt 4 (COMING SOON) folgt ein Review der Studie mit einer Einordnung der Resultate und einem Ausblick von #ProtectTheKids.
Veröffentlichung: 17.08.2024
Letzte Aktualisierung: 30.11.2024
1. Resultate im Überblick
In der Kohorte von 1’037’936 Kindern und Jugendlichen (KuJ) lag die Impfrate bei 67 %. Die kumulative Inzidenz von wahrscheinlichem Long COVID (wLC) lag bei 4.5 % der KuJ mit COVID-19 und diejenige von diagnostiziertem Long COVID (dLC) bei 0.8 %.
Die adjustierte Impfstoffwirksamkeit (Vaccine Effectiveness, VE) innerhalb von 12 Monaten betrug bei KuJ 35.4 % [24.5 %, 44.7 %] (95 % Konfidenzintervall) gegen wLC und 41.7 % [15.0 %, 60.0 %] gegen dLC. Die adjustierte VE gegen wLC innerhalb von 12 Monaten war bei Jugendlichen von 12 bis 17 Jahren höher (50.3 % [36.6 %, 61.0 %]) als bei Kindern von 5 bis 11 Jahren (23.8 % [4.9 %, 39.0 %]).
Die adjustierte VE gegen wLC bei KuJ war innerhalb von 6 Monaten höher (61.4 % [51.0 %, 69.6 %]) und innerhalb von 18 Monaten niedriger (10.6 % [-26.8 %, 37.0 %]) als innerhalb von 12 Monaten.
Bei Kindern von 5 bis 11 Jahren betrugen die nicht adjustierte und die adjustierte VE gegen wLC innerhalb von 12 Monaten der Omikron-Epoche 19.7 % [7.1 %, 30.6 %] bzw. 23.8 % [4.9 %, 39.0 %].
2. Methoden
Im Rahmen der RECOVER-Initiative 1 der National Institutes of Health (NIH) wurde eine retrospektive Kohortenstudie auf der Grundlage von EHR-Daten 2 aus 41 Gesundheitssystemen für Kinder und Jugendliche (KuJ) durchgeführt, die (1) COVID-19, (2) eine Diagnose einer akuten Atemwegserkrankung, Fieber, Dyspnoe oder Husten nach dem 1. Januar 2019, (3) einen SARS-CoV-2-Test oder (4) mindestens eine Impfdosis gegen SARS-CoV-2 hatten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Impfung fälschlicherweise eingetragen wird, ist sehr gering. Allerdings ist das Risiko einer unvollständigen Erfassung von Impfdosen bekannt, während ein Abbruch der Grundimmunisierung vor der zweiten Dosis ungewöhnlich ist.
Daher ist es bei diesem Studiendesign sinnvoll, KuJ mit dem Nachweis mindestens einer Impfdosis einzubeziehen, denn jede dadurch entstehende Verzerrung verringert die Schätzung der Impfstoffwirksamkeit und vermeidet deren Überbewertung. In der Hauptanalyse wurden nur geimpfte KuJ betrachtet, die keine (bekannte) Vorgeschichte einer SARS-CoV-2-Infektion hatten.
Stichprobe
Kinder und Jugendliche (KuJ) waren teilnahmeberechtigt, wenn sie zwischen dem Zeitpunkt der Impfberechtigung und dem 29. Oktober 2022 ein Gesundheitszentrum aufsuchten und zum Zeitpunkt der Impfberechtigung zwischen 5 und < 18 Jahre alt waren. Der Zeitpunkt der Impfung gegen SARS-CoV-2 wurde für Jugendliche im Alter von 12 bis < 18 Jahren auf den 1. Januar 2021 und für Kinder im Alter von 5 bis < 12 Jahren auf den 29. Oktober 2021 festgelegt, entsprechend der Verfügbarkeit der Impfstoffe.
Eine kleine Anzahl von Patienten wurde ausgeschlossen, wenn innerhalb von 28 Tagen nach der ersten Impfdosis eine SARS-CoV-2-Infektion nachgewiesen wurde, damit nur Patienten mit vollständiger Immunantwort berücksichtigt wurden.
Geimpfte Kinder unter 12 Jahren mit einer SARS-CoV-2-Infektion wurden daher nur dann in die Hauptanalyse einbezogen, wenn diese Infektion nach Ablauf von mindestens vier Wochen nach der ersten Impfdosis erfolgte (also frühestens am 29. November 2021), so dass diese Altersgruppe der Omikron-Epoche zugeordnet wurde.
Bei geimpften KuJ war das Eintrittsdatum in die Kohorte das Datum der ersten Impfdosis, während bei ungeimpften KuJ das Datum eines persönlichen Besuchs nach der Impfung nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurde, was zu einer angeglichenen Verteilung der Eintrittsdaten zwischen den Kohorten führte.
Darüber hinaus war ein Kontakt zwischen 8 Tagen und 2 Jahren vor dem Eintritt in die Kohorte erforderlich, um grundlegende Gesundheitscharakteristika zu erfassen; eine Verzerrung in Richtung höherer Inanspruchnahme wurde vermieden, indem ein persönlicher Besuch nicht vorgeschrieben wurde. Zur Ermittlung der langfristigen COVID-Outcomes war ausserdem mindestens ein persönlicher Besuch zwischen 28 und 179 Tagen nach Kohorteneintritt erforderlich.
Outcomes / Ergebnisse
Die Hauptergebnisse waren diagnostiziertes / diagnosed Long COVID (dLC) oder wahrscheinliches / probable Long COVID (wLC). Die Falldefinition für dLC waren zwei oder mehr Besuche mit Diagnosecodes, die spezifisch für Long COVID waren; ein einzelner Diagnosecode fiel unter die Falldefinition für wahrscheinliches Long COVID. Um der unvollständigen Verfügbarkeit oder Verwendung von COVID-spezifischen Diagnosecodes Rechnung zu tragen, insbesondere bei KuJ mit frühen Anzeichen von Long COVID, umfasste die Falldefinition für wLC den Nachweis einer SARS-CoV-2-Infektion (positiver PCR-Test oder Antigen-Schnelltest) sowie mindestens zwei mit Long COVID kompatible Diagnosen 28 bis 179 Tage nach der Infektion. Diese Diagnosen wurden in früheren Arbeiten als postakute Assoziationen mit COVID-19 identifiziert und werden als Postacute Sequelae of SARS-CoV-2 (PASC) bezeichnet.
Einige Ergebnisse werden für die Präomikron- und Omikron-Epochen separat aufgeführt. Dies gilt nur für Jugendliche, da Impfstoffe für jüngere Kinder vor Beginn der Omikron-Epoche kaum verfügbar waren. Zur Wahrung der Konsistenz zwischen den Analysen wurde der 29. November 2021, der erste Tag, an dem ein jüngeres Kind nach der Impfung eine Infektion gehabt haben könnte, als Trennlinie zwischen den Epochen verwendet; zu diesem Zeitpunkt zirkulierte Omikron in den Vereinigten Staaten und wurde wenige Wochen später zum dominierenden Stamm.
KuJ mit einer SARS-CoV-2-Infektion nach Eintritt in die Kohorte wurden anhand des Datums der Infektion einer der beiden Epochen zugeordnet; für Teilnehmende, die nie COVID-19 entwickelten, wurde das Datum des Kohorteneintritts verwendet.
Hauptanalyse
Kinder und Jugendliche aus geimpften und ungeimpften Kohorten wurden hinsichtlich ihrer Altersgruppe (5 bis 11 Jahre, 12 bis 17 Jahre) und der Zeitperiode (6-Monats-Periode des Kohorteneintritts) beim Kohorteneintritt gematcht.
Das Matching von Erklärvariablen (hier: Altersgruppe und Zeitperiode beim Kohorteneintritt) ist ein Vorverarbeitungsschritt, der eine Teilmenge von Datenpunkten so auswählt, dass zwischen den verbleibenden Datensätzen mit und ohne Behandlung (hier: mit/ohne Impfung) eine ähnliche Verteilung der Erklärvariablen entsteht. Dadurch wird der Bias reduziert, der bei stark unterschiedlichen Verteilungen auftreten kann. Beim hier verwendeten one-to-one exact matching wird für jeden Datenpunkt der behandelten (geimpften) Kohorte genau ein Datenpunkt der unbehandelten Kohorte mit exakt passenden Erklärvariablen selektiert; die restlichen Datenpunkte der beiden Kohorten werden weggeworfen.
Die Beobachtung von PASC wurde auf 12 Monate nach Kohorteneintritt begrenzt, um das Waning der Impfstoffwirksamkeit (Vaccine Effectiveness, VE) über die Zeit zu berücksichtigen.
Sensititivätsanalyse
Einerseits wurde die Impfstoffwirksamkeit (VE) gegen PASC für eine kleinere geimpfte Kohorte geschätzt, in der nur Kinder und Jugendliche mit mindestens zwei erfassten Impfdosen berücksichtigt wurden. Andererseits wurde die VE gegen PASC in unterschiedlichen Zeitfenstern von 6, 12 und 18 Monaten nach Eintritt in die Kohorte geschätzt.
Vergleich der Kohorten
«For unadjusted analyses, follow-up time was computed from cohort entry until the end of observation.»
Bei den nicht adjustierten Analysen wurde die Follow-up-Zeit vom Eintritt in die Kohorte bis zum Ende des Beobachtungszeitfensters berechnet.
Aus Tabelle 2 geht hervor, dass für nicht adjustierte und adjustierte Analysen dasselbe Beobachtungszeitfenster verwendet wurde (gleiche Anzahl N von Long-COVID-Fällen in der gematchten Kohorte). Vermutlich bezieht sich die Aussage jedoch darauf, dass die effektive Follow-up-Zeit kürzer als das Beobachtungszeitfenster sein konnte, denn je nach Eintrittsdatum in die Kohorte und gewähltem Beobachtungszeitfenster wurden Teilnehmende nicht über das gesamte Zeitfenster nachverfolgt (“lost to follow-up”), da nur EHR-Daten bis April 2023 berücksichtigt wurden. Dies verkürzte die Nachbeobachtungszeit für KuJ, die erst im Laufe des Jahres 2022 in die Kohorte eintraten, insbesondere bei einem Zeitfenster von 12 oder 18 Monaten.
Für den Vergleich zwischen geimpften und ungeimpften Kohorten wurde die Incidence Rate Ratio (IRR) verwendet. Für die IRR wurden unter Verwendung der Wald-Schätzung 95 %-Konfidenzintervalle bestimmt. Die Impfstoffwirksamkeit (VE) wurde als 100 × (1 – IRR) berechnet.
Zur Berechnung der Impfstoffwirksamkeit gegen Long COVID wurden auch sogenannte adjustierte Analysen durchgeführt, bei denen zusätzlich zum Resultat (erkrankt, Y = 1 oder nicht erkrankt, Y = 0) und zum Impfstatus (geimpft, X = 1 oder ungeimpft, X = 0) durch Verwendung einer (bedingten) logistischen Regression weitere Einflussvariablen Z1, …, Zp (Confounders, Störvariablen) berücksichtigt wurden. Es handelt sich dabei um eine Erweiterung der logistischen Regression, die beim Vergleich der durch X = 1 bzw. X = 0 gegebenen Gruppen eine Stratifizierung nach weiteren Einflussvariablen ermöglicht. Als Einflussvariablen wurden Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Gesundheitssystem, Grad der Inanspruchnahme des Gesundheitssystems, Anzahl betroffener Organsysteme und weitere Faktoren berücksichtigt.
Bei einer logistischen Regression wird die (ebenfalls bedingte) Odds Ratio (Quotenverhältnis oder Chancenverhältnis) einer binären Resultatvariablen Y und einer ebenfalls binären Eingangsvariablen X geschätzt, also das Verhältnis der Odds (Chancen) für das Resultat Y = 1 in der durch X = 1 gegebenen Gruppe zu den Odds für das Resultat Y = 1 in der Gruppe mit X = 0, wobei die weiteren Einflussvariablen Z1, …, Zp konstant gehalten werden.
Solange es sich bei Y = 1 (erkrankt) statistisch gesehen um “seltene Ereignisse” handelt (Rare Disease Assumption, zutreffend bei einer Prävalenz von 10 % oder weniger), entspricht die IRR in guter Näherung der Odds Ratio (OR), so dass die entsprechende Impfstoffwirksamkeit als VE = 100 × (1 – OR) approximiert werden kann.
Mediationsanalyse
Zur Analyse “indirekter” und “direkter” Effekte der Impfung auf Long COVID wurden “kausale Mediationsanalysen” durchgeführt, wobei die Behandlung die Impfung vor der Infektion, der Mediator die SARS-CoV-2-Infektion und das Outcome Long COVID war.
Zur Schätzung der Impfstoffwirksamkeit wurden zwei logistische Regressionsmodelle verwendet. Das erste für den Einfluss der Behandlung auf den Mediator (in der Studie als “indirekter” Effekt bezeichnet) und das zweite für den Einfluss von Behandlung und Mediator auf das Outcome (in der Studie als “direkter” Effekt bezeichnet), wobei dieselben Störvariablen berücksichtigt wurden.
Im Paper wird die Verwendung dieser Modelle wie folgt beschrieben: “From these models, we estimated the effect and CIs of vaccination on long COVID independent of infection and of vaccination on long COVID mediated by infection.” – Diese Erklärung ist jedoch verwirrend, denn die Falldefinition von wLC setzt ja eine nachgewiesene Infektion voraus.
3. Resultate
Studienkohorte
Die Impfdaten von 17 Gesundheitssystemen waren ausreichend aussagekräftig für die Einbeziehung. Wie Figur 1 zeigt, setzt sich die Studienkohorte (im Folgenden als gesamte Kohorte bezeichnet) aus Gruppen von 480’298 5 bis 11-Jährigen und 557’638 12 bis 17-Jährigen zusammen. Insgesamt erhielten 67 % der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen (KuJ) mindestens eine Impfdosis gegen SARS-CoV-2, 88 % zwei oder mehr.
«Die kumulative Inzidenz von wahrscheinlichem Long COVID (wLC) lag in der gesamten Kohorte bei 0.3 % und bei KuJ mit nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion nach Eintritt nach Eintritt in die Kohorte bei 4.5 %.»
Die Studie spricht zwar von der Prävalenz (Anteil aktuell existierender und nicht als genesen geltender Fälle), meint aber wohl die kumulative Inzidenz von wLC in der gesamten Kohorte, wobei diagnostiziertes Long COVID mit eingeschlossen ist. Weiter ist zu beachten, dass die Falldefinition von wLC in dieser Studie den Nachweis einer SARS-CoV-2-Infektion erfordert.
Die kumulative Inzidenz von wLC betrug 4.5 % bei KuJ mit nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion nach Eintritt in die Kohorte und war somit 15 Mal höher als die kumulative Inzidenz von wLC in der gesamten Kohorte, welche lediglich 0.3 % betrug. Letztere dürfte eine deutliche Unterschätzung sein, weil die Falldefinition von wLC einen positiven SARS-CoV-2-Test voraussetzt und die gemessene kumulative Inzidenz von SARS-CoV-2 (Anteil der Personen mit mindestens einem positiven Test nach Eintritt in die Kohorte) selber eine Unterschätzung darstellt.
Dass die Zahl der mit SARS-CoV-2 infizierten KuJ unterschätzt wurde, liegt zum einen an der restriktiven SARS-CoV-2-Teststrategie bei KuJ und zum anderen (gemäss Supplemental Information) daran, dass seit der Omikron-Epoche vermehrt auf Schnelltests ausserhalb der Gesundheitszentren (z. B. zuhause) gesetzt wurde und diese Tests in den elektronischen Gesundheitsakten nicht erfasst wurden.
«Bei KuJ mit nachgewiesener COVID-19-Infektion nach Eintritt in die Kohorte lag die kumulative Inzidenz von diagnostiziertem Long COVID bei 0.8 %, unter Berücksichtigung wahrscheinlicher Fälle (wLC) lag sie bei 4.5 %.»
Diagnosecodes, die spezifisch für Long COVID sind, wurden erst 2021 eingeführt (z.B. ICD-10-CM U09.9 für eine Post COVID-19 condition am 1. Okt. 2021) und bei Kindern generell selten verwendet. Dies zeigt, dass die weiter gefasste Definition von wLC besser geeignet ist, das Ausmass der PASC zu bestimmen.
Auswirkung der Impfung auf Long COVID bei Kindern und Jugendlichen
Siehe Tabelle 2 für eine Übersicht der VE (Impfstoffwirksamkeit) gegen Long COVID.
«Bei Kindern mit Impfnachweis und ohne Vorgeschichte einer SARS-CoV-2-Infektion betrug die (adjustierte) VE gegen wahrscheinliches Long COVID (Beobachtungsfenster 12 Monate) für die kombinierten Altersgruppen 35 % [25 %, 45 %], wobei die Wirkung bei Jugendlichen grösser war als bei jüngeren Kindern.»
Siehe Tabelle 2, “All ages (5 – 17 y)”, Kolonne “Adjusted” sowie Figur 3, “12 mo probable, all ages”. Aufgrund der zurückhaltenden Teststrategie war das Risiko einer Fehlklassifizierung von Infizierten KuJ bei den unter 12-Jährigen grösser als bei den Jugendlichen, was zu einer stärkeren Unterschätzung der VE führte.
Die schützende Wirkung der Impfung schien mit der Zeit nachzulassen. In einem Beobachtungsfenster von 6 Monaten nach der Impfung wurde eine höhere VE gegen Long COVID beobachtet als in 12 Monaten, während eine Verlängerung des Beobachtungszeitraums auf 18 Monate eine weitere Abnahme ergab (Figur 3).
Bei Kindern, von denen bekannt ist, dass sie vollständig geimpft waren (d. h. 2+ registrierte Impfdosen), betrug die VE gegen wahrscheinliches Long COVID innerhalb von 12 Monaten 45 % [35 %, 53 %], wobei die Ergebnisse innerhalb der Altersschichten konsistent waren, was die Gültigkeit des Analyseverfahrens bestätigt (Figur 2).
Im Vergleich zu Figur 3 für die VE gegen Long COVID (Beobachtungsfenster 12 Monate, rot) zeigt Figur 4 die VE gegen SARS-CoV-2-Infektion (Beobachtungsfenster 12 Monate), eine “indirekte” Wirkung der Impfung auf Long COVID durch Reduktion des Infektionsrisikos.
Man beachte, dass Figur 4 die VE gegen SARS-CoV-2-Infektion für KuJ mit mindestens einer Impfdosis zeigt, was die Vergleichbarkeit mit Figur 2 limitiert. Für die 5 bis 11-Jährigen wird hier die VE gegen Infektion nur für beide Zeiträume kombiniert angegeben (48 %); in der Omikron-Epoche betrug sie noch 33 % (siehe Seite 4 im Paper, “indirect” effect).
Im Vergleich dazu betrug die VE gegen SARS-CoV-2-Infektion bei den 12 bis 17-Jährigen in der Omikron-Epoche nur 24 % (Figur 4), was sich mit Waning erklären lässt, denn die Impfung dieser Altersgruppe hatte etwa 6 Monate früher begonnen.
Ein Vergleich zwischen dem “indirekten” und dem “direkten” Effekt der Impfung auf das Risiko von wahrscheinlichem Long COVID (wLC) kann durch Betrachtung der Odds Ratios vorgenommen werden. Tabelle PTK.1 zeigt die im Paper angegebenen VEs und Odds Ratios, nämlich VE1 und OR1 für den “indirekten” Effekt, VE2 und OR2 für den kombinierten (indirekten und direkten) Effekt und OR2 / OR1 für den “direkten” Effekt der Impfung auf das Risiko von wLC.
5 bis 17 J, prä-Omi+Omi | 5 bis 11 J, Omikron | 12 bis 17 J, Omikron | 12 bis 17 J, prä-Omi+Omi | |
---|---|---|---|---|
VE1 gegen SARS-CoV-2-Infektion | 53% | 33% | 24% | 60% |
OR1 = 1 – VE1 / 100 (“indirekter” Effekt) | 0.47 | 0.67 | 0.76 | 0.40 |
Quelle für VE1 und OR1 | Figur 4 | Paper S. 4 | Figur 4 | Figur 4 |
VE2 (adj. VE) gegen wLC | 35.4% | 23.8% | 49.6% | 50.3% |
OR2 = 1 – VE2 / 100 (kombinierter Effekt) | 0.65 | 0.76 | 0.50 | 0.50 |
Quelle für VE2 und OR2 | Tabelle 2 | Tabelle 2 | Tabelle 2 | Tabelle 2 |
OR2 / OR1 (“direkter” Effekt) | 1.38 | 1.13 | 0.66 | 1.25 |
Zwischen den Zahlenwerten im Paper S. 4 (Resultate der Mediationsanalyse) und jenen in Figur 4 gibt es allerdings Diskrepanzen, wie Tabelle PTK.2 zeigt.
5 bis 11 J, Omikron | 5 bis 11 J, Omikron | 12 bis 17 J, Prä-Omi | 12 bis 17 J, Prä-Omi | 12 bis 17 J, Omikron | 12 bis 17 J, Omikron | |
---|---|---|---|---|---|---|
VE1 gegen SARS-CoV-2-Infektion | 33% | 48% | 54% | 90% | 55% | 24% |
OR1 = 1 – VE1 / 100 (“indirekter” Effekt) | 0.67 | 0.52 | 0.46 | 0.10 | 0.45 | 0.76 |
Quelle für VE1 und OR1 | Paper S. 4 | Figur 4 | Paper S. 4 | Figur 4 | Paper S. 4 | Figur 4 |
OR2 / OR1 (“direkter” Effekt) | 1.34 | 1.34 | 1.32 | 1.32 | 0.99 | 0.99 |
Quelle für OR2 / OR1 | Paper S. 4 | Paper S. 4 | Paper S. 4 | Paper S. 4 | Paper S. 4 | Paper S. 4 |
Wider Erwarten ist OR2 in einigen Fällen grösser als OR1, d.h. die Odds von wahrscheinlichem Long COVID scheinen grösser zu sein als diejenigen einer SARS-CoV-2-Infektion.
Dieser Effekt wird in der “Supplemental Information” des Papers als “schwache positive Assoziation” zwischen der Impfung und (“against” ?) Long COVID beschrieben, d. h. nach einer Infektion wurde wahrscheinliches oder diagnostiziertes Long COVID in der geimpften Kohorte etwas häufiger gefunden als in der ungeimpften Kohorte, wie aus den Odds Ratios in Figur 7 hervorgeht. Die Autorenschaft weist jedoch selber darauf hin, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Impfung und Long COVID sehr unwahrscheinlich ist:
«The observed association could result from any of several mechanisms; it is highly unlikely that vaccination is causally related to long COVID when the opposite is observed in the larger analyses.»
Unterschiede in der Datenerhebung zwischen der geimpften und der ungeimpften Kohorte könnten zu einem systematischen Fehler (Ascertainment Bias / Stichprobenverzerrung) geführt haben: Zum Beispiel ein unterschiedliches Testverhalten, das allenfalls auch von der Symptomstärke (symptomatisch, schwach symptomatisch oder asymptomatisch) in der akuten Phase abhängt, oder Unterschiede in der Erfassung von Symptomen.
Ein Schutz vor Long COVID wurde auch bei Kindern beobachtet, die ihre Impfung erst nach einer dokumentierten COVID-19-Erkrankung erhielten (Figur 5).
FORTSETZUNG FOLGT
4. Review
COMING SOON
Die Studienergebnisse zeigen, dass mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 auch das Risiko von Kindern und Jugendlichen für Long COVID reduzieren. Die Schutzwirkung war bei Jugendlichen grösser als bei jüngeren Kindern. Die Autoren führen dies vor allem darauf zurück, dass der Impfstoff besser zur Delta-Variante als zu Omikron (Varianten BA.1, BA.2 und BA.5) passte und dass die Impfstoffwirksamkeiten (gegen SARS-CoV-2-Infektion und gegen Long COVID) bei Jugendlichen in beiden Epochen (Delta und Omikron) evaluiert werden konnten, während sie bei Kindern nur in der Omikron-Epoche (29.11.2021 bis April 2023) untersucht wurden. Sie weisen auch auf Faktoren hin, die darauf hindeuten, dass die Schätzung der Wirksamkeit von Impfstoffen in der Omikron-Epoche mit grösseren Unsicherheiten behaftet ist:
«Die Testpraxis änderte sich im Laufe der Zeit, wobei in späteren Phasen der Pandemie (d. h. nach Beginn der Omikron-Epoche) vermehrt Antigentests zu Hause durchgeführt wurden. Dies könnte (aufgrund der geringeren Sensitivität im Vergleich zu PCR-Tests) bei symptombasiertem Long COVID zu Fehlklassifizierungen geführt haben. Darüber hinaus war bei einem Grossteil der Patienten mit einem Long-COVID-Diagnosecode keine vorherige COVID-19-Episode in den elektronischen Patientenakten (EHR) dokumentiert, so dass der Schweregrad der akuten Erkrankung nicht als Adjustierungsfaktor zur Bestimmung der Impfstoffwirksamkeit herangezogen werden konnte.» (Übersetzung aus dem Paper)
Die Auswirkungen einer unzureichenden Teststrategie werden im nachfolgenden Abschnitt “Testpraxis und Auswirkung von Fehlklassifzierungen auf die Ermittlung von Impfstoffwirksamkeiten” noch genauer untersucht.
Zur Erkennung von Long COVID aus den EHR berücksichtigt die Studie, dass Diagnosecodes, die spezifisch für Long COVID sind, erst im Herbst 2021 eingeführt wurden (z.B. ICD-10-CM U09.9 für eine Post COVID-19 condition am 1. Okt. 2021) und bei Kindern generell selten vorkommen. Daher wurde sowohl diagnostiziertes Long COVID (dLC) als auch das weiter gefasste wahrscheinliche Long COVID (wLC) als Ergebnis berücksichtigt, und zwar basierend auf dem wiederholten Auftreten von PASC, d. h. von Symptomen, die zwischen einem und sechs Monaten nach einer SARS-CoV-2-Infektion häufiger auftreten als bei nicht infizierten Kindern.
Bei KuJ mit nachgewiesener COVID-19-Infektion nach Eintritt in die Kohorte betrug die kumulative Inzidenz von wLC 4.5 %, diejenige von dLC nur 0.8 %. Dies bestätigt, dass die weiter gefasste Definition von wLC besser geeignet ist, das Ausmass der PASC zu bestimmen. Die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen wLC und dLC war ähnlich und wurde auch bei Kindern beobachtet, die nach einer ersten COVID-19-Episode geimpft wurden, was darauf hindeutet, dass die Impfung einen gewissen Schutz vor Spätfolgen bietet, d. h. vor PASC, die mit Verzögerung auftreten. Eine Mediationsanalyse legt nahe, dass die Schutzwirkung der Impfung in erster Linie auf eine Verringerung der Häufigkeit oder des Schweregrads der Infektion zurückzuführen ist.
Dass die Impfung einen Teilschutz gegen Long COVID bietet, stimmt mit entsprechenden Ergebnissen bei Erwachsenen überein, auch wenn die in dieser Studie ermittelten Impfstoffwirksamkeiten (VE) niedriger sind als in Studien mit Erwachsenen, in denen die kurzfristige Wirksamkeit zwischen einer Woche und einem Monat nach der Impfung untersucht wurde. Das Paper weist darauf hin, dass unterschiedliche Definitionen von Long COVID zu solchen Diskrepanzen führen können.
Die in der vorliegenden Studie beobachtete höhere VE bei Jugendlichen ist vergleichbar mit Studien, die akute Infektionen untersuchten. Im Paper wird erwähnt, dass andere Faktoren zu diesem Unterschied beitragen könnten. Es ist zum Beispiel möglich, dass Long-COVID-Symptome (PASC) bei (oder von) Jugendlichen häufiger berichtet oder dokumentiert werden, oder dass diese bei jüngeren Kindern anderen Ursachen zugeschrieben werden, z. B. häufigen Infektionen im Kindesalter.
Das Nachlassen (Waning) der VE gegen Long COVID ist zu erwarten, ähnlich dem Waning gegen akute Infektion. Zu den Gründen gehören eine geringere Neutralisierungseffizienz gegen neuere Virusstämme und das Abklingen vorhandener Antikörper-Konzentrationen im Laufe der Zeit. Es ist auch möglich, dass ein verzögertes Einsetzen von PASC oder eine verspätete (und daher nicht erfasste) Diagnose von Long COVID zu diesem Effekt beiträgt.
Darüber hinaus könnte eine nachlassende Wirksamkeit gegen Long COVID auch mit den Auswirkungen von Reinfektionen zusammenhängen. Im Paper wird erwähnt, dass dies analytisch schwer zu beurteilen war, da in der Omikron-Epoche weniger COVID-19-Episoden dokumentiert wurden.
Die Tatsache, dass die kumulative Inzidenz von wLC in der gesamten Kohorte der KuJ nur 0.3 % betrug und damit 15 Mal niedriger war als die kumulative Inzidenz von wLC mit nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion nach Eintritt in die Kohorte (4.5 %), deutet darauf hin, dass eine unzureichende Teststrategie zu einer erheblichen Unterschätzung der Inzidenz von Infektionen (Anteil der Personen mit mindestens einem positiven C19-Test nach Eintritt in die Kohorte) und von Long COVID (Anteil der Personen, bei denen innerhalb des Beobachtungszeitfensters wLC oder dLC auftrat) geführt hat und es verunmöglichte, die Auswirkungen von Reinfektionen zu untersuchen, die seit 2022 in ungeschützten Kinderpopulationen häufig beobachtet werden.
#ProtectTheKids unterstützt die Empfehlung der Autoren, den zeitlichen Verlauf der VE gegen Infektion sowie gegen Long COVID genauer zu untersuchen und zu prüfen, ob das Waning durch periodische Auffrischimpfungen reduziert werden kann.
Das Paper liefert leider keine expliziten Daten zur kumulativen Inzidenz von COVID-19-Fällen (“C19+”) in den Kohorten mit und ohne Impfung. Es wäre nützlich, diese Zahlen pro Altersgruppe und separat für die betrachteten Zeiträume (Prä-Omikron und Omikron bis April 2023) zu kennen. Die Fall-basierten Inzidenzen können jedoch aus den Kohortendaten im Paper näherungsweise rekonstruiert werden. Unter Berücksichtigung von Dunkelziffern lassen sich dann die tatsächlichen Inzidenzen von COVID-19 und Long COVID abschätzen.
Für diese “Übung” betrachten wir zunächst das in der Studie verwendete Matchingverfahren und anschliessend den Einfluss von Fehlklassifizierungen auf die berechneten Impfstoffwirksamkeiten.
Matching der Kohorten und Fälle von Long COVID
Aus Tabelle 2 geht hervor, dass sich die Anzahl N der Fälle von Long COVID (“symptom-based or diagnosed long COVID” = wLC oder nur dLC) auf die gematchten Kohorten bezieht.
Für die Hauptanalyse wurden die geimpften und ungeimpften Kohorten mit einem one-to-one exact matching nach Altersgruppe und 6-Monats-Zeitperiode beim Kohorteneintritt gematcht.
Für jede Altersgruppe wurden die geimpfte und die ungeimpfte Kohorte gemäss Datum des Kohorteneintritts in aufeinanderfolgende 6-Monats-Zeitperioden aufgeteilt, beginnend mit dem Datum, an dem die Altersgruppe impfberechtigt wurde (1. Januar 2021 für Jugendliche ab 12 Jahren und 29. Oktober 2021 für Kinder von 5 bis < 12 Jahren). In jeder Altersgruppe erhöhte sich der Anteil geimpfter Personen in aufeinanderfolgenden 6-Monats-Perioden. In einer gegebenen 6-Monats-Periode entsteht beim 1:1-Matching ein grösserer Verlust, wenn die geimpfte Kohorte viel kleiner ist als die ungeimpfte, oder umgekehrt. Im Paper wird der Matching-Verlust (über alle 6-Monats-Zeitperioden und für beide Altersgruppen) mit 27 % bei der ungeimpften Kohorte und 64 % der geimpften Kohorte beziffert, so dass 73 % der ungeimpften und 36 % der geimpften Kohorte übrig bleiben.
Die Kohortengrössen vor dem Matching gehen aus Figur 1 hervor: Es handelt sich um $N_{K,1} = 279’279$ geimpfte Kinder, $N_{J,1} = 413’633$ geimpfte Jugendliche, $N_{K,0} = 201’019$ ungeimpfte Kinder und $N_{J,0} = 144’005$ ungeimpfte Jugendliche. Nach dem 1:1-Matching muss die geimpfte Kohorte gleich gross sein wie die ungeimpfte Kohorte, d.h. $M_1 \approx M_0$, wobei
$$M_1 \approx 0.36 \cdot (N_{K,1} + N_{J,1}) = 249’912$$
$$M_0 \approx 0.73 \cdot (N_{K,0} + N_{J,0}) = 251’868$$
Die minimale Diskrepanz ist auf kleine Rundungsfehler zurückzuführen, so dass in guter Näherung total
$$M = \lfloor (M_1+M_0)/2 + 0.5 \rfloor = 250’658$$
gematchte Paare verbleiben. Wenn $M_K$ und $M_J$ die Anzahl gematchter Paare von Kindern bzw. Jugendlichen bezeichnet, dann gilt
$$M_K \leq \min \left( N_{K,0}, N_{K,1} \right) = 201’019$$
$$M_J \leq \min ( N_{J,0}, N_{J,1} ) = 144’005$$
wobei
$$M_K + M_J = M.$$
5. Referenzen
Razzaghi, H., Forrest, C.B., Hirabayashi, K. et al. (2024). Vaccine Effectiveness Against Long COVID in Children. Pediatrics; AAP publications; Epub April 1, 2024. doi: 10.1542/peds.2023-064446