Aerosole und erhöhte CO2-Konzentrationen in Schulräumen

Beitrag von #ProtectTheKids, 22.09.2022, aktualisiert am 02.07.2023.

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Klassenzimmer in Schulen und Kindergärten gehören zu den am dichtesten belegten öffentlichen Räumen, und ohne geeignete technische Massnahmen für saubere Raumluft verschlechtert sich die Luftqualität in Schulzimmern während der Nutzung rapide, insbesondere in der kalten Jahreszeit oder an Hitzetagen.

Die zwei Hauptprobleme bei der Luftqualität in Schulräumen sind die Verbreitung von Atemwegsinfektionen durch respiratorische Aerosole und die oft zu hohen CO2-Konzentrationen. Eine gegenüber der Aussenluft erhöhte CO2-Konzentration ist ein Indikator für verbrauchte Luft und kann deshalb auf eine erhöhte Konzentration virenbeladener Aerosole hinweisen.

CO2-Sensoren sind hilfreiche Instrumente zur Bewertung der Luftqualität, insbesondere der Frage, ob ein Raum bei gegebener Belegung mit einem ausreichenden Volumenstrom bei der Ventilation versorgt wird, d. h. mit genügend Aussenluft (“Frischluft”). Bei Verwendung der CO2-Konzentration als Indikator für eine potenziell erhöhte Aerosol-Konzentration ist jedoch zu berücksichtigen, ob der Raum mit HEPA-Filtration  (HEPA = High Efficiency Particulate Air) ausgerüstet ist.

Inhaltsverzeichnis

  1. Aerosole in Innenräumen verbreiten Atemwegsinfektionen
  2. CO2-Konzentration in Schulzimmern zu hoch
  3. Erhöhte CO2-Konzentration als Indikator für verbrauchte Luft
  4. Leitfaden für gesunde Klassenzimmer und Viren-Tool

1.  Aerosole in Innenräumen verbreiten Atemwegsinfektionen

Beim Atmen, Sprechen, Singen usw. stossen wir respiratorische Aerosolpartikel (sehr kleine Schwebeteilchen verschiedener Grösse und feine Tröpfchen) wie auch grössere Tröpfchen aus, welche in unseren Atemwegen entstehen. Bei lautem Sprechen, Schreien und Singen sowie beim Sport werden besonders viele Aerosolpartikel emittiert. Diese Partikel können mit Viren beladen sein (SARS-CoV-2, Influenza, Erkältungsviren, Windpocken, Masern etc.), welche dann auch als Virosole bezeichnet werden. Solche Partikel sind effiziente Übertrager von Atemwegsinfektionen, insbesondere von COVID-19. Aerosolpartikel können auch bakterielle Infektionen übertragen, z. B. Tuberkulose.

In einem dicht belegten Schulraum ist das Infektionsrisiko bei unzureichender Luftqualität besonders hoch, weil sich in der Gegenwart einer ansteckenden Person virenbeladene Aerosole in der Raumluft anreichern können. Somit sind Personen im ganzen Raum exponiert. Zudem steigt die inhalierte Virendosis mit der Verweilzeit.

Je kleiner die respiratorischen Aerosolpartikel sind, desto geringer ist ihre Sinkgeschwindigkeit in der Luft und desto grösser ist ihre Reichweite. Ohne geeignete Gegenmassnahmen können im ganzen Raum gesundheitsgefährdende Aerosol-Konzentrationen entstehen.

Infektiöse Aerosolpartikel können im Nahbereich (Abstand < 1.5 m) oder im Fernbereich (auch über grosse Distanzen) übertragen werden. Ansteckungen sind selbst dann möglich, wenn eine infektiöse Person den Raum schon längst verlassen hat, denn kleine Aerosolpartikel sind leicht und können  über längere Zeit in der Luft schwebend verbleiben. Man kann sich Aerosolpartikel wie Zigarettenrauch vorstellen – dieser bleibt in der Luft hängen, wenn nicht gelüftet wird.

Ein Aerosol (im Singular) ist ein Gemisch aus feinen Aerosolpartikeln (Schwebeteilchen und feine Tröpfchen, umgangssprachlich auch als «Aerosole» bezeichnet) und einem Gas, normalerweise der Luft. Die Schwebeteilchen können fest, flüssig oder ein Gemisch aus festen und flüssigen Anteilen sein. Sie variieren in der Grösse von wenigen Nanometern bis zu 100 Mikrometern. Tröpfchen können auch feste Anteile enthalten. Unsere Luft enthält stets Aerosolpartikel unterschiedlichen Typs und unterschiedlicher Konzentration. Man unterscheidet natürliche Bioaerosole (Pollen, Sporen, Bakterien, Viren, Virenbestandteile), natürliche anorganische Partikel (z. B. Mineralstaub, Meersalz) und weitere, vom Menschen eingebrachte organische oder anorganische Partikel (Staubteilchen, Verbrennungsprodukte, Nanopartikel).

2.  CO2-Konzentration in Schulzimmern zu hoch

Bereits in den Heizperioden 2013/14 und 2014/15 hatte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) aufgrund von Luftanalysen Kenntnis von der gesundheitlich bedenklichen Luftqualität in 67 % der getesteten Schulzimmer (Kantone BE, GR und VD). Dabei wurden in 10 Schulen gesundheitsgefährdende Spitzenwerte der CO2-Volumendichte («Konzentration») zwischen 3300 und 4700 ppm (parts per million) gefunden. Diese Messdaten wurden aufgrund einer Ktipp-Recherche am 2.6.2022 veröffentlicht, siehe Ktipp-Ausgabe 11/2022.

Ähnliche Ergebnisse lieferte ein italienisch-schweizerisches Forschungsprojekt zur Luftqualität in Schulgebäuden, das die Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst der Südschweiz (SUPSI) in Zusammenarbeit mit IDM Südtirol durchgeführt hat. Im Rahmen der Studie wurden in sechs Tessiner Schulen Messungen durchgeführt, sowohl im Winter als auch im Sommer: Die Ergebnisse zeigen, dass die CO2-Konzentration während der Lektionen stetig zunimmt. Während Werte über 2000 ppm selten vorkommen, sind in der zweiten Hälfte des Unterrichts Werte über 1000 ppm die Regel, mit Ausnahme von Klassenzimmern mit allgemeiner mechanischer Belüftung (Lüftungskanäle und Ventilatoren) oder automatischer Fensteröffnung (siehe den Artikel der Autoren vom Juli 2021 in Dati – Statistiche e società).

CO2-Konzentrationen weit über 1000 ppm (0.1 % Volumenanteil) erschweren die Atmung, können Kopfschmerzen und Schwindel verursachen und beeinträchtigen die Fähigkeit, sich zu konzentrieren – siehe z. B. Pulimeno et al., «Indoor air quality at school and students’ performance: Recommendations of the UNESCO Chair on Health Education and Sustainable Development & the Italian Society of Environmental Medicine (SIMA)».

CO2-Konzentrationen über 2000 ppm gelten als gesundheitsgefährdend.

Eine hohe CO2-Konzentration in einem Innenraum ist meist gleichbedeutend mit einem hohen Anteil verbrauchter (ausgeatmeter) Luft und weist häufig auf eine gesundheitlich problematische Aerosol-Konzentration hin.

3.  Erhöhte CO2-Konzentration als Indikator für verbrauchte Luft

Bei ungenügender Frischluftzufuhr bzw. fehlender Abluft-Ventilation nimmt der CO2-Gehalt der Raumluft rasch zu, weshalb eine gegenüber der Aussenluft erhöhte CO2-Konzentration ein Indikator für verbrauchte Luft ist und auch ein Mass für mit Viren belastete Aerosole sein kann.

CO2-Sensoren ermöglichen die Überwachung der Luftqualität und verdeutlichen so die Notwendigkeit, für frische und saubere Raumluft zu sorgen. Für mittlere CO2-Konzentrationen unter 1000 ppm, welche ohne eine Ausrüstung mit HEPA-Filtern noch als akzeptabel gelten, müssen Klassenzimmer ohne Raumklimasystem bei einer Belegung mit ca. 25 Personen je nach Aktivität und Aussenluft-Bedingungen bis zu drei Mal pro Stunde gelüftet werden.

In Räumen ohne mechanische Filterung (durch HEPA-Luftreiniger, Raumluftsysteme und/oder Masken) gilt die CO2-Konzentration in der Raumluft oder genauer die Differenz dieser Konzentration zur CO2-Konzentration in der Aussenluft als guter «Proxy» (Stellvertreter) für die Belastung mit respiratorischen Aerosolen, d. h. für die (mittlere) Dichte (Mikrogramm pro Kubikmeter) der schwebenden, potenziell virenbeladenen Aerosolpartikel. Man kann sich diesen Zusammenhang näherungsweise als Proportionalität zwischen der CO2-Konzentrationsdifferenz und der Dichte der Aerosolpartikel vorstellen. 

In einigen Situationen findet jedoch in der Raumluft eine Entkopplung zwischen der CO2-Konzentrationsdifferenz und der Aerosolpartikeldichte statt, zum Beispiel beim Einsatz von HEPA-Filtern oder wenn nach dem Verlassen des Raums die Aerosolpartikel aufgrund der Schwerkraft zu Boden fallen – ein Prozess, welcher mehrere Stunden dauern kann.

4.  Leitfaden für gesunde Klassenzimmer und Viren-Tool

Der von Dr. Michael Riediker, Direktor des Schweizerischen Zentrums für Arbeits- und Umweltgesundheit (SCOEH), mitverfasste Guide for ventilation towards healthy classrooms richtet sich an Mitarbeitende in der fachtechnischen Planung. Dieser wissenschaftliche Leitfaden für gesunde Klassenzimmer dient der Bewertung und Festlegung von Belüftungsstrategien, um die potenzielle Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus durch Aerosolübertragung in Klassenräumen zu reduzieren.

Der Leitfaden erklärt, wie Sie überprüfen können, ob die Belüftung das Risiko einer Übertragung durch Aerosole ausreichend reduziert. Aufgrund der sich einstellenden CO2-Konzentrationsdifferenz zur Aussenluft lässt sich bei einer gegebenen Anzahl von Personen die Leistung der Lüftung bestimmen. Der Leitfaden beschreibt auch eine Methodik zur Einschätzung des relativen Infektionsrisikos in einem Klassenzimmer für verschiedene Szenarien.

Ausserdem stellt das SCOEH kostenlos und mehrsprachig ein Viren-Tool zur Berechnung der Virendosis und des CO2 in Räumen zur Verfügung, welches basierend auf der Raumgrösse, der Anzahl anwesender Personen, der Aufenthaltsdauer und weiterer Parameter die Berechnung der CO2-Konzentration und der inhalierten Virendosis ermöglicht.